Kritik bisheriger Varroa-Konzepte
Dr. med. Uwe M. Lang
Integratives Varroa-Konzept unter Berücksichtigung der Umweltbeeinträchtigung“
Eine gut formulierte Frage des Demeterimkers Michael Weiler soll dem Beitrag vorangestellt werden:
„Eigentlich kann man sagen, daß die Fähigkeiten vorhanden sind – die Bienen können Milben erkennen, sie können sich gegenseitig putzen, auch „grooming“ genannt.
Sie können befallene Zellen erkennen und öffnen, was die Entwicklung der Milben beeinträchtigt, oder auch ausräumen.
Aber warum tun die Bienenvölker das nicht in einem so ausreichenden Maß, daß dadurch die Varroapopulation eben nicht eine Schadschwelle erreicht?
Das kann bis heute niemand beantworten.“
(Letzebuerger Beien-Zeitung 9/2022, S.357)
Da über Varroa und Varroatoleranz bzw. -resistenz - die beiden Begriffe werden im Folgenden als synonym verwendet, da der Autor eine Abgrenzung zueinander eher als Spitzfindigkeit empfindet - schon viel geschrieben wurde, sollte sich jeder wirklich gut überlegen, ob noch ein zusätzlicher Beitrag gerechtfertigt ist.
Da der Autor sich im wesentlichen mit wild lebenden Honigbienen und der Übertragung der daraus gewonnenen Erkenntnisse auf die Imkerei beschäftigt und vor kurzem im Rahmen von vergleichendem Monitoring dreier westeuropäischer Regionen tatsächlich einige neue Einflußfaktoren auf die Überlebensfähigkeit der wild lebenden Völker herausgearbeitet werden konnten, scheint die Zeit gekommen einige neue Aspekt in die Varroadiskussion einzubringen bzw. hervorzuheben.
Das bisher vorherrschende genetische Erklärungsmuster der Varroa soll durch die hier vorgestellten Überlegungen nicht verworfen, aber doch zumindest an einigen Stellen angepaßt und moduliert werden, so daß sich idealerweise sowohl Handlungsanweisungen für laufende Varroazucht- und Auswilderungsprogramme, als auch für die alltägliche Varroabehandlung bzw. -vorbeugung in der Imkerei ergeben, die allesamt eine langsame Entwicklung der gesamten Imkerei hin zu mehr Naturnähe fördern könnten.
Gängige Erklärungsmuster hoher Völkerverluste und dazugehörige Gegenstrategien
Bei Verlustraten von bis zu 100% bei einzelnen Imkerkollegen und durchschnittlichen Verlustraten von bis zu 50% in manchen Ländern und Jahresübergängen seit Auftreten der Varroa etwa ab 1980 war und bleibt die Erklärungsnot groß. Man war sich schnell einig darin, zunächst die Varroamilbe selbst und etwas später dann auch zusammen mit ihren Begleitviren als Hauptverursacher des Problems festzustellen.
Anfängliche Versuche die Varroamilbe in ihren neuen Verbreitungsgebieten mit noch so brachialen Mitteln auszurotten oder durch Behandlung einzugrenzen schlugen allesamt fehl, so daß heute die ganze Welt mit Ausnahme einiger mehr oder weniger großer Inseln (unter anderen auch noch ein Großteil Australiens) als befallen gelten.
Da man recht bald eine genetisch verankerte Wehrlosigkeit gegenüber den neuen Parasiten als gegeben annahm, suchte man sein Heil in verschiedenen Formen der „Behandlung“ (pharmakologisch, thermisch, Brutunterbrechung usw.), die allesamt darauf ausgerichtet waren der Biene im Dauerkampf gegen ihren Parasiten einen Vorteil zu verschaffen.
Die Behandlung wurde dann als erfolgreich bezeichnet, wenn der Parasit stärker geschädigt wurde als der Wirt, der Wirt – also die Bienen – die verschiedenen Behandlungsformen mehr oder weniger knapp überlebte und sich anschließend etwas schneller erholte als der Parasit.
Bei allen Formen der Unterstützung war dieser künstlich hergestellte „Vorteil“ zugunsten der Bienen jedoch nur von kurzer Dauer, die Parasiten überholten den Wirt bereits nach wenigen Wochen bis Monaten wieder, so daß in endloser Wiederholung ein neuer Behandlungszyklus angesetzt werden muß usw.
Als weitere Parallele zur heutigen Corona-Pandemie kam dann der vor Jahrzehnten in mehreren Ländern – Deutschland natürlich allen voran – eingeführte und meist bis heute noch gültige Varroa-Behandlungszwang dazu.
Der Erfolg dürfte auch hier allen bekannt sein.
Trotz immenser Investitionen in pharmakologische Varroamittel wurden die Varroen immer aggressiver, die Völker mußten immer öfter pro Jahr behandelt werden (siehe heutige – Stand 2022 - Zulassung für VarroMed für bis zu 3 Frühjahrsbehandlungen und insgesamt 9 Behandlungszyklen pro Jahr), die Beschäftigung mit der Varroa dominiert bis heute den Imkeralltag, Millionen von Völkern fielen unterschiedlichen Formen der Fehlbehandlung zum Opfer, erfolgreiche behandlungsfreie Betriebsweisen und sich selbst tragende wild lebende Honigbienen-Populationen sind bis heute in Deutschland im Gegensatz zu vielen anderen Ländern nicht beschrieben. Als typische Vertreter dieser „richtige Varroa-
Behandlung und alles wird gut“-Richtung dürften im deutschsprachigen Raum Liebig und Aumeier gelten.
Erschöpft von diesem sich immer schneller drehenden Hamsterrad der Behandlungen haben sich die Bemühungen vor allem im letzten Jahrzehnt zunehmend auf verschiedene Zuchtformen zur Förderung der Varroatoleranz fokussiert.
Wiederum basierend auf der Annahme der genetischen Mangelhaftigkeit der Durchschnittsbiene geht es um die Förderung von genetisch verankerten Verhaltensweisen wie „Varroa Sensitive Hygiene“ (VSH), „Recapping“ usw, von denen man annimmt, daß sie bei der Varroatoleranz der Bienen eine Rolle spielen und die stabile Verankerung dieses Genmaterials in der breiten Masse der heimischen Bienenpopulation.
Ähnlich hohe Summen und Personal wie vorher in der pharmakologischen Forschung werden nun in die Königinnenzucht, die Anschaffung technischer Hilfsmittel z.B. zur Mikroskopie oder künstlichen Besamung, Auszählung von Varroen, die Organisation und Beschickung von Belegstellen usw, investiert.
Auch auf diesem derzeit vielversprechendsten Weg der berechtigten Hoffnungen und immensen Anstrengungen werden sich vermutlich nach anfänglichen Erfolgen wahrscheinlich
doch wieder zunehmend Limitationen zeigen, die in ihrer Art und ihren Gründen im weiteren Verlauf hinterfragt werden sollten.
Ein weiteres, eher naturromantisches Erklärungsmuster der bekannten Probleme in der Imkerei dürfte als Reaktion auf die pharmakologisch-gentechnische Herangehensweise der Mainstream-Imkerei und -Bienenforschung zu verstehen sein.
Dieses Erklärungsmuster geht davon aus, daß sich die Bienen nach Befreiung aus den vom Menschen aufgezwungenen Rahmenbedingungen unter dem Einfluß der natürlichen Selektion und Zurverfügungstellung von baumähnlichen Nisthöhlenstrukturen nach anfänglichen Schwellenverlusten problemlos in unserer heutigen Umwelt behaupten könnten.
Die Erkrankung der Bienen wird im wesentlichen als Folge der nicht artgerechten Haltung und Verhinderung natürlicher Selektion interpretiert, wild lebende Völker werden idealisiert und infolgedessen dann oft auch die Imkerei als Ganzes pauschal und militant abgelehnt oder behandlungsfreie Massenversuche empfohlen.
Mehr oder weniger groß und naiv angelegte Auswilderungsversuche enden dann in den allermeisten Fällen in einem Fiasko.
Typische Beispiele hierfür sind Free The Bees in der Schweiz, Honey Bee Wild in Luxemburg, einige Torben Schiffer Projekte in Deutschland oder auch einzelne Empfehlungen von Thomas Seeley aus den USA zur sogenannten darwinistischen Bienenhaltung.
Es sei an dieser Stelle ausdrücklich betont, daß es keineswegs darum geht alle diese mit einer gewissen Berechtigung bestehenden und Teilerfolgen verbundenen Erklärungsmuster einschließlich praktizierter Varroa-Gegenstrategien abzuwerten, sondern vielmehr darum ein realitätsnäheres Gesamtkonzept für das weitere Vorgehen unter Berücksichtigung der unterschiedlichen lokalen Gegebenheiten zu entwerfen, das endlich zur Ableitung einer vermißten, möglichst überall erfolgreichen Varroastrategie führen könnte (Wirz Poeplau 2020).
Realitäten widersprechen weiterhin obigen Erklärungsmodellen
Im Folgenden sollen für jedes der oben aufgeführten weitverbreiteten Erklärungsmodelle der Völkerverluste eine ganze Liste von widersprechenden Realitäten und Fakten aufgeführt werden, so daß einerseits die Notwendigkeit der Korrektur und Erweiterung dieser Modelle verdeutlicht, andererseits ein neues übergreifendes Modell an der Integration dieser Phänomene erprobt werden kann.
Die sich anschließenden Listen erheben natürlich keinen Anspruch auf Vollständigkeit, sollen in erster Linie grobe Richtungen für die anstehenden Korrekturen anstoßen.
1. Folgende Realitäten widersprechen der Hauptannahme, daß die Varroa und deren Begleiterreger die Hauptursache für hohe Volkverluste sind, wobei keineswegs geleugnet werden soll, daß die Volkuntergänge durch die Varroa ein Stück weit vermittelt werden, bzw. daß kranke Völker auch einen durchschnittlich höheren Varroabefall haben:
- lange vor Einschleppung der Varroa in Europa kam es z.B. durch die Tracheenmilbe zu Phasen mit massivem Bienensterben, siehe z.B. 1913 auf den britischen Inseln, wodurch die heimische Dunkle Biene dort fast ausgerottet wurde und zunehmend andere Rassen eingeführt und gezüchtet wurden.
Ähnlich wie heute gegen Varroa behandelt wird, mußte in früheren Zeiten gegen Nosema und Tracheenmilbe behandelt werden.
- trotz der fast weltweiten Verbreitung der Varroa gibt es stark unterschiedliche, damit im Zusammenhang stehende durchschnittliche lokale Verlustraten unbehandelter Bienenbestände, die zwischen 0-100% schwanken.
- bei fast allen Erhebungen von Verlustraten bei Imkervölkern auf nationaler und internationaler Ebene gibt es wesentlich höhere Verlustraten in den stärker urbanisierten Arealen, besonders Großstädten.
- eigene Untersuchungen mit Hilfe vergleichenden Monitorings an wild lebenden Honigbienen in der Saintonge/ Westfrankreich, Luxemburg und Dortmund/ NRW/ BRD konnten eindeutig nachweisen, daß die Höhe der jährlichen Verlustraten – durchschnittlich 62-91% - in positivem Zusammenhang zum Urbanisierungsgrad – Bevölkerungsdichten von 67-2.160 Einwohner/ qkm - stehen (Lang u.a. 2022).
- steigende Zahl abgestorbener Imkervölker ohne entsprechend zu erwartendem hohem Milbenfall.
- wiederkehrende Erfahrungen von hohen Völkerverlusten bei vordem an anderen Standorten varroaresistenten Völkern. Diese Erfahrung hat sowohl z.B. Seeley bei der Verlegung von langfristig überlebenden wildlebenden Völkern, als auch viele Imker machen müssen, die sich angeblich varroaresistente Völker aus dem Ausland gekauft haben.
- allgemeiner Rückgang fast aller bekannten Lebensformen angefangen vom Ansteigen chronischer Erkrankungen und Rückgang der Fertilität (siehe Mensch) bis hin zum beschleunigten Artensterben, auch hier wieder verstärkt in stark urbanisierten Regionen.
Es erscheint daher durchaus wahrscheinlich, daß der tieferliegende Grund für die hohen Völkerverluste ein anderer ist – dieser scheint jedenfalls starken lokalen Schwankungen ausgesetzt zu sein -, die aber an der Oberfläche liegenden Krankheits- und Todesursachen wie z.B. Tracheen-, Varroamilbe oder Faulbrut austauschbar und von Verbreitung, Potenz, Bekanntheit und Erkennbarkeit der Erreger abhängen und eher nur als Ausdruck einer durch die eigentliche Ursache verursachte innere Schwächung zu deuten sind.
2. Folgende Fakten stehen im Widerspruch zu der Annahme, daß sich die Westliche Honigbiene nicht an die Varroamilbe adaptieren kann, daher stets eine wie auch immer geartete Varroabehandlung stattfinden muß und diese Behandlungen das Problem der Völkerverluste ausreichend lösen kann.
Auch hierbei bleibt unbestritten, daß die Varroabehandlung – zumindest in den allermeisten Fällen mit hohen Völkerverlusten in unbehandelten Beständen und richtiger Anwendung
– zu einer deutlichen Reduktion der Völkerverluste genutzt werden kann, zumal die heute empfohlenen Behandlungsformen ungewollt auch gegen viele andere Krankheitserreger neben der Varroa wirksam sind.
- es ist unbestritten, daß sich auf allen varroainfizierten Kontinenten, einschließlich Europas mehr oder weniger große Gebiete mit varroaresistenten sich selbst tragenden wild lebenden Honigbienen-Populationen und behandlungsfreier Imkerei bekannt geworden sind.
Auffallend ist, daß sich diese Gebiete in Europa eher an den Rändern und meeresnah oder großen Flüssen befinden (siehe z.B. Nordwest-Wales, Hudsons 2021, Malta, Lang 2020, Belgrad/ Serbien, Bila Dubaic u.a. 2021).
- es tauchen immer mehr Einzel-Berichte von erfolgreichen behandlungsreduzierten bis -freien Betriebsformen auch in Mitteleuropa auf.
- sowohl aus eigener Erfahrung, als auch aus Berichten von Imkerkollegen scheint es so zu sein, daß an unterschiedlichen Standorten und Gebieten nicht nur unterschiedliche jahresübergreifende Verlustraten feststellbar sind, sondern auch die Anzahl der notwendigen Behandlungen stark varriert.
- laufende Varroatoleranzzucht-Programme melden immer mehr Erfolge mit teilweise schon mehrjährigen behandlungsfreien Perioden größerer Bestände (Jungels 2022).
- eigene Untersuchungen mit Hilfe vergleichenden Monitorings an wild lebenden Honigbienen in der Saintonge/ Westfrankreich, Luxemburg und Dortmund/ NRW/ BRD konnten nachweisen, daß 13,3-64,7% der Völker länger als ein Jahr an ihrem Standort überleben und 3,3-11,7% der Standorte über 3,5 Jahre dauerbesiedelt waren, wobei die Überlebensdauer in negativem Zusammenhang zum Urbanisierungsgrad stand (Lang u.a. 2022).
- bei vielen Erhebungen von Verlustraten bei Imkervölkern auf nationaler und internationaler Ebene gibt es immer wieder Jahre mit durchschnittlichen Verlustraten von bis zu 50% trotz durchgehender Varroabehandlung.
Anzunehmen ist, daß jedem Standort und umgebendem Gebiet ein umweltbezogener Gesundheitsindex zuzuordnen ist, der mit der notwendigen Behandlungintensität der Bienen in Zusammenhang steht.
Entscheidend scheint dem Autor auf möglichst diagnosenabhängige Varroabehandlung umzustellen – d.h. auch einmal auf Behandlungsschritte zu verzichten, wenn sie nicht dringend benötigt werden – und an jedem Standort immer wieder mal mit einzelnen gesunden Völkern behandlungsfreie Versuche zu starten, insbesondere wenn langzeitüberlebende wild lebende Völker in der Nähe beobachtet werden konnten.
Mangelnde Risikobereitschaft und Überfürsorglichkeit der Imker den Bienen gegenüber auf dem Hintergrund der gesetzlichen Behandlungspflicht bilden mit die größten Hindernisse auf dem Weg zu gesünderen und varroatoleranteren Bienen.
3. Folgende Beobachtungen sprechen gegen die Annahme, daß Varroatoleranz hauptsächlich mit einer bestimmten genetischen Ausstattung der Bienen zusammenhängt und diese nur über bestimmte Varroatoleranz-Zuchtprojekte erreicht werden kann, auch wenn eine gewisse Beschleunigung dieser Entwicklung durch diese Zuchtprojekte wahrscheinlich erscheint:
- die auf der gesamten varroainfiziierten Welt verteilten nachgewiesenen varroatoleranten Populationen wild lebender Völker und behandlungsfrei geführten Betriebsweisen beinhalten unterschiedliche Unterarten und Mischformen der Westlichen Honigbiene.
- in allen Varroatoleranz-Projekten, die mit mehreren Unterarten oder Kunstrassen wie z.B. Buckfast arbeiten, ließ sich bisher nicht nachweisen, daß die Varroatoleranz eine bevorzugte Eigenschaft bestimmter Unterarten ist.
- in den meisten bisher weltweit bestätigten Gebieten, in denen eine Varroatoleranz entstanden ist, ist diese entweder spontan in der wild lebenden Population oder im Laufe der alltäglichen imkerlichen Praxis entstanden.
Letzteres entwickelt sich meist so, daß immer mehr Imker merken, daß es ihren unbehandelten Völkern nicht schlechter geht als den behandelten und sie sich dann zunehmend gegenseitig ermutigen die Varroabehandlung wegzulassen.
- umgekehrt ist dem Autor zumindest noch keine Region bekannt, in der es allein infolge eines Varroatoleranzzucht-Projekts zum Aufbau einer sich selbst erhaltenden wild lebenden Bienenpopulation oder flächendeckend erfolgreicher Behandlungsfreiheit geführt hätte, was aber noch nicht viel bedeutet, da das Ende der Fahnenstange auf diesem Weg noch lange nicht erreicht ist und vor allem die Verankerung der erzüchteten Merkmale in der Masse der Bienenvölker noch bevorsteht.
- laut bisher noch unveröffentlichter Daten des Autors aus der Beobachtung wildlebender Völker sieht es so, als ob die Langlebigkeit eines Volkes oder Völkerreihe in Westeuropa stark standortabhängig ist, d.h. daß sich sehr lange bzw. überdurchschnittliche Überlebenszeiten von bis zu 5 Jahren am Stück trotz Neubesiedlungen und damit ja Genwechseln immer wieder an den gleichen Standorten – meist sind es übrigens Gebäude – beobachten lassen.
Unter der Annahme, daß überdurchschnittliche Überlebenszeiten genbedingt sind, müßten diese an wechselnden Standorten vorzufinden sein, was aber nur selten der Fall ist.
Aufgrund der Neuartigkeit dieser Zuchtbemühungen ist davon auszugehen, daß sowohl das gesamte Potential dieser Bemühungen, als auch ihre Limitationen noch nicht zur vollen Ausprägung gekommen sind.
Neben kleineren, leicht zu beseitigenden Schönheitsfehlern – dazu gehört m.E. die absichtliche Infektion der kleinen Zuchtvölker mit verschiedensten Varroapopulationen, was einem
Varroazuchtprogramm hoch aggressiver Varroen gleichkommt – wird die spannende Frage zu klären sein, ob eine varroatolerante Biene trotz massiv beeinträchtigter Umwelt, meist infolge hoher Urbanisierung herangezüchtet werden kann.
Die dem Autor bisher bekannten Erfolge der Varroatoleranzprojekte halten ihre Bienen meist in sehr wenig urbanisierten und waldreichen Regionen.
Obwohl sich bisher in großen Teilen der Welt – einschließlich an den Rändern Europas wie z.B. Wales, Tunesien, Malta, Belgrad/ Serbien, Norwegen usw. - gezeigt hat, daß sich die Westliche Honigbiene mit ihrem neuen Parasiten arrangieren und sich ein neues Gleichgewicht zwischen ihr und den Bienen einstellen kann, ist dies in Mitteleuropa noch am wenigsten der Fall und das obwohl gerade hier die meisten Varroatoleranz- Zuchtprojekte laufen.
4. Gegen die rein naturromantischen Erklärungsmodelle der Bienen-Problematik – das Hauptproblem wäre eigentlich nur die Imkerei - sprechen folgende nur allzu gern
übersehenen Tatsachen, wobei der richtige Ansatz der gezielt-konstruktiven Kritik an den Haltebedingungen in der Imkerei in keinster Weise bestritten werden soll:
- teils extrem hohe jährliche Verlustraten wild lebender Völker von bis zu 100% in allen dem Autor bekannten Monitoringprojekten in deutschen Großstädten (Dortmund schneidet hier mit durchschnittlichen Jahresverlustraten von 86,3% noch am besten ab) und einer Mindest-Verlustrate von immer noch 63,4-65,4% in der Saintonge/ Westfrankreich im Rahmen eigener Untersuchungen mit Hilfe vergleichenden Monitorings (Lang u.a. 2022), legen aufgrund des positiven Zusammenhangs mit dem Urbanisierungsgrad nahe, daß die Umweltqualität an vielen Standorten bereits derart beeinträchtigt ist, daß die Überlebenschancen der wild lebenden Völker - wie auch bereits unter 1 beschrieben - massiv eingeschränkt sind.
Daher kann nicht mehr ohne weiteres davon ausgegangen werden, daß ausgewilderte Honigbienen unter den gegebenen natürlichen Bedingungen überleben oder eine sich selbst tragende Population bilden können.
- da sich in einer weiteren vergleichenden Monitoringstudie herausgestellt hat, daß die Überlebenschancen der Honigbienenvölker in Baumstandorten durchschnittlich sogar noch geringer als in anthropogenen bzw. Gebäudestandorten sind (Lang Albouy 2021, noch unveröffentlicht), stellt das die allermeisten Zeidler-, Klotzbeuten-, wild simulierten und Auswilderungs-Programme, die meist mit Holznistkästen oder Baumhöhlensimulationen arbeiten und von der Prämisse ausgehen, daß Bienen bevorzugt Waldbewohner und Baumhöhlennister sind, noch mehr in Frage.
- das Scheitern aller dem Autor bekannten privaten und geförderten Auswilderungsprogramme in Deutschland.
- das Scheitern aller dem Autor in Mitteleuropa bekannten privaten und wissenschaftlich-begleiteten Massen-Behandlungsstop-Projekte in der Imkerei, einschließlich des bekanntesten auf Gotland/ Südschweden, wo von den 1999 ursprünglich 150 ohne Behandlung ausgesetzten Völkern 2019 die letzten - weniger als 10 verbliebenen - wegen starker Schwächung dann scheinbar doch behandelt werden mußten (Wirz Poeplau 2020).
Aus all den gerade aufgezählten Gründen scheinen Renaturierungs-, Auswilderungs- oder Behandlungsstop-Projekte nur für ausgewählte Gebiete mit hoher – möglichst anhand verschiedener Bioindikatoren getesteten - Umweltqualität mit sehr niedrigen Völkerzahlen und optimierten Nisthöhlen empfehlenswert zu sein.
Dr. med. Uwe M. Lang
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